EHRLICHKEIT - Eine zerstörende Tugend?
Ehrlichkeit, eine Tugend, die oft bewundert und gefordert wird. Doch ab wann wird Ehrlichkeit nicht mehr gut und kann sogar zerstörerisch sein? Und welche Menschen nutzen Ehrlichkeit, um anderen bewusst Schaden zuzufügen?
"Was bewundern Sie an Männern? Ehrlichkeit. Was bewundern Sie an Frauen? Ehrlichkeit. Wer sagt Ihnen die Wahrheit? Alle." Diese Aussage mag beeindruckend klingen, doch in der Realität wissen wir, dass nicht jeder die Wahrheit sagt. Selbst wir selbst sind nicht immer vollständig ehrlich. Manchmal umgehen wir direkte Fragen, verschlucken schmerzliche Wahrheiten oder vermeiden konstruktive Kritik.
Die Ehrlichkeit scheint in kleinen Gemeinschaften, wie sie in ländlichen Gegenden oft zu finden sind, einfacher zu sein. Hier sind die Menschen aufeinander angewiesen und Ehrlichkeit kann lebensnotwendig sein. Doch in unserem modernen Leben gelten oft andere Regeln. In Beruf, Freundschaften, Hobbys und sogar in Partnerschaften kann ungeschönte Ehrlichkeit mehr Schaden anrichten als helfen.
Es stellt sich die Frage: Ist es immer richtig, ehrlich zu sein? Ist es notwendig, dem Kollegen die unverblümte Meinung zu sagen, oder sollte man besser schweigen? Ist es sinnvoll, den Eltern alles zu gestehen, oder ist es besser, manches für sich zu behalten? Ist es angebracht, dem Pfarrer zu sagen, was man von seiner Predigt hält, oder ist es klüger, zu schweigen?
Die Antwort ist komplex. Einerseits ist Ehrlichkeit zweifellos eine wichtige Tugend, die das Fundament für Vertrauen und Nähe bildet. Andererseits kann sie auch viel zerstören, einschließlich Vertrauen und Nähe, selbst wenn sie freundlich und verständnisvoll vermittelt wird.
In existenziellen Fragen, wie der Kommunikation mit einem Sterbenden oder dem Umgang mit einem Kind, kann die Ehrlichkeit besonders herausfordernd sein. Soll man einem Sterbenden die Wahrheit über seine Situation sagen, oder ist es besser, ihn zu schonen? Soll man einem Kind die harte Realität offenbaren, oder ist es besser, es zu schützen?
Der große Theologe Thomas von Aquin hat festgehalten: "Es ist erlaubt, in kluger Weise die Wahrheit zu verschleiern."
Es gibt allerdings auch Menschen, die Ehrlichkeit als Mittel zur Selbstbestätigung und Zerstörung nutzen:
Menschen mit einem starken moralischen Kompass: Personen, die stark an ihre moralischen Überzeugungen gebunden sind, könnten Ehrlichkeit als Möglichkeit betrachten, ihre moralische Überlegenheit zu demonstrieren. Sie könnten dazu neigen, ihre Ehrlichkeit als Beweis für ihre Integrität und ihre Fähigkeit zur Selbstkontrolle zu betrachten.
Personen mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn: Menschen, die einen starken Gerechtigkeitssinn haben und sich stark für Fairness und Gleichbehandlung einsetzen, könnten Ehrlichkeit als Mittel betrachten, um ihre Überzeugungen zu verteidigen und sich selbst als gerecht und aufrichtig darzustellen. Sie könnten darauf bestehen, ehrlich zu sein, um ihre moralischen Prinzipien zu erfüllen und sich selbst als moralisch überlegen zu fühlen.
Personen mit einem starken Selbstbewusstsein: Menschen, die ein hohes Selbstbewusstsein haben und sich sicher in ihrer Identität und ihren Überzeugungen fühlen, könnten Ehrlichkeit als Mittel betrachten, um ihre Authentizität und ihre Fähigkeit zur Selbstreflexion zu demonstrieren. Sie könnten sich darauf konzentrieren, ehrlich zu sein, um sich selbst treu zu bleiben und sich selbst als stark und selbstsicher zu bestätigen.
Personen mit einem starken Bedürfnis nach Selbstbestätigung: Menschen, die ein starkes Bedürfnis nach Selbstbestätigung haben und sich ständig nach Anerkennung und Zustimmung sehnen, könnten Ehrlichkeit als Mittel betrachten, um sich selbst als ehrlich und aufrichtig darzustellen und dadurch die Zustimmung und Anerkennung anderer zu erhalten. Sie könnten dazu neigen, ihre Ehrlichkeit als Beweis für ihre Authentizität und ihre moralische Überlegenheit zu präsentieren.
Ehrlichkeit wird auch von Menschen mit auffälligem Persönlichkeitsmuster instrumentalisiert. Beispielsweise Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitstendenz haben oft ein übertriebenes Gefühl der eigenen Bedeutung und erwarten besondere Behandlung und Bewunderung von anderen. Sie neigen dazu, ihre eigenen Leistungen und Qualitäten zu übertreiben und die Fehler anderer herunterzuspielen oder zu kritisieren. Ehrlichkeit kann für sie ein Werkzeug sein, um sich selbst als überlegen und besser als andere darzustellen.
Menschen mit histrionischen Persönlichkeitszügen suchen oft nach Aufmerksamkeit und Bestätigung durch andere. Sie neigen dazu, dramatisch und theatralisch zu sein und können die Wahrheit verzerren oder übertreiben, um im Mittelpunkt zu stehen oder sich selbst als Opfer darzustellen. Ihre Ehrlichkeit kann selektiv sein und dazu dienen, ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu betonen.
Personen mit antisozialer Persönlichkeitstendenz zeigen oft ein Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte anderer. Sie können manipulativ und täuschend sein, um persönliche Gewinne zu erzielen, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse oder Gefühle anderer. Ihre Ehrlichkeit kann opportun und instrumentell sein, um ihre eigenen Ziele zu erreichen, unabhängig von den Konsequenzen für andere.
Personen mit Borderline-Tendenz erleben intensive emotionale Instabilität und Schwierigkeiten im Umgang mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie können dazu neigen, impulsiv zu handeln und in Extremen zu denken. Ihre Ehrlichkeit kann variabel sein, je nach ihren aktuellen Emotionen und Bedürfnissen. Sie können die Wahrheit manipulieren oder verschweigen, um ihre emotionalen Zustände zu regulieren oder ihre Selbstbilder zu schützen.Oder mit brutaler Ehrlichkeit jemanden der ihnen emotional zu nahe kommt, wegstoßen.
Dieser Gedanke betont die Bedeutung nicht nur der Ehrlichkeit an sich, sondern auch der Weisheit, mit der sie angewendet wird. Es geht darum, zu erkennen, wann Ehrlichkeit aufbaut und wann sie zerstört.
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