Ein Zuhause für das innere Kind: Wie eine Übung alte Wunden heilt
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- 23. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Die Vorstellung vom „inneren Kind“ ist längst fester Bestandteil vieler psychologischer und therapeutischer Ansätze. Kaum eine Methode spricht so direkt die emotionale Ebene an wie diese Übung. Doch wo kommt sie eigentlich her? Wie hat sie sich entwickelt? Und warum ist es manchmal besser, mit einem inneren Kind zu arbeiten – statt gleich mit einer ganzen inneren „Kinderschar“?
Ursprung der Idee – Gestalttherapie und Transaktionsanalyse
Die Gestalttherapie, begründet von Fritz Perls in den 1940er und 1950er Jahren, gehört zu den ersten therapeutischen Ansätzen, die bewusst erlebnisorientiert mit inneren Anteilen gearbeitet haben.Im Mittelpunkt steht das hier-und-jetzt-Erleben: Gefühle, Körperempfindungen und innere Bilder werden als reale Erfahrungen wahrgenommen.Fritz Perls und seine Nachfolger nutzten frühe Formen der inneren-Kind-Arbeit, um unbewusste oder unterdrückte Gefühle sichtbar zu machen und erlebbar zu machen – ein Ansatz, der direkt auf die emotionale Ebene zugreift und dadurch besonders wirksam ist.
Parallel dazu entwickelte Eric Berne in den 1950er Jahren die Transaktionsanalyse. Berne beschrieb drei Ich-Zustände:
das Kind-Ich (emotional, spontan, kreativ),
das Eltern-Ich (kritisch oder fürsorglich) und
das Erwachsenen-Ich (rational und gegenwartsbezogen).
Diese Konzepte legten den Grundstein für die spätere Popularisierung durch John Bradshaw in den 1980er Jahren, der das innere Kind in die breite Öffentlichkeit brachte. Weitere Therapeutinnen wie Lucia Capacchione, Erika Chopichund Margaret Paul entwickelten die Methode fort, etwa im Inner Bonding oder in der Gestalttherapie.
Die psychologische Idee dahinter
Das innere Kind steht für die Summe aller frühkindlichen Erfahrungen, Gefühle und Bedürfnisse.Wenn wir verletzt, abgelehnt oder überfordert wurden, spalten wir diese Gefühle oft ab – sie leben dann weiter als „unversorgte“ kindliche Anteile in uns.Die Übung „Arbeit mit dem inneren Kind“ zielt darauf, diesen Anteilen Zuwendung, Sicherheit und Verständnis zu schenken.
So entsteht die Möglichkeit, alte emotionale Wunden zu heilen und mit sich selbst in einen fürsorglichen Kontakt zu kommen.
Von vielen inneren Kindern – zu einem handhabbaren Bild
Im Laufe der Zeit hat sich die Methode weiter differenziert:Viele Therapeutinnen sprechen heute von mehreren inneren Kindern – etwa dem „verletzten Kind“, dem „wütenden Kind“ oder dem „freien Kind“.Das kann hilfreich sein, um komplexe Gefühlslagen differenzierter zu verstehen.
Aber: Zu viele innere Figuren können auch überfordern.Gerade bei Menschen mit hoher Sensibilität oder traumatischen Erfahrungen kann das Gefühl entstehen, man verliere die Übersicht im eigenen Inneren.
Darum arbeiten moderne, ressourcenorientierte Ansätze – wie die Gestalttherapie oder achtsamkeitsbasierte Methoden – bewusst oft nur mit einem zentralen inneren Kind.Dieses eine Kind steht symbolisch für alle verletzlichen, bedürftigen Anteile.So bleibt der Kontakt einfacher, stabiler und emotional integrierter.
Wann die Arbeit mit dem inneren Kind hilfreich ist – und wann Vorsicht geboten ist
Die Übung eignet sich besonders in sicheren, begleiteten Kontexten – etwa in Therapie, Coaching oder in ruhigen Phasen der Selbstreflexion.Sie kann sehr heilsam sein, wenn man sich selbst verstehen, alte Verletzungen lösen oder den Selbstwert stärken möchte.
Vorsicht ist jedoch geboten, wenn:
alte Traumata aktiv werden,
starke Emotionen auftreten,
man beginnt, sich innerlich zu „zersplittern“.
Dann kann die Arbeit mit dem inneren Kind – gerade bei zu vielen inneren Figuren – zu einer inneren Überlastung führen. In solchen Fällen sollte man die Übung nur in Begleitung einer Fachperson (Psychotherapeut, Traumatherapeut) fortsetzen.
Ein einfacher Einstieg
Wenn du die Übung ausprobieren möchtest, reicht es oft, dein inneres Kind wie eine reale Person zu begrüßen.Schließe die Augen, stelle dir dich selbst als kleines Kind vor – so, wie du dich erinnerst.Vielleicht steht dieses Kind traurig da, vielleicht neugierig oder unsicher.Sage innerlich:
„Ich sehe dich. Ich bin jetzt bei dir. Du bist sicher bei mir.“
Es geht nicht darum, etwas zu „reparieren“.Sondern darum, Zuwendung zu schenken – etwas, das vielen von uns früher gefehlt hat.
Fazit
Die Arbeit mit dem inneren Kind ist mehr als eine Technik – sie ist eine erlebnisorientierte Haltung, wie sie die Gestalttherapie seit den 1940er Jahren lehrt.Sie lehrt uns, mitfühlend auf uns selbst zu schauen und Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen.Wer sich dabei auf ein einziges, symbolisches Kind konzentriert, bleibt oft stabiler, klarer und emotional sicherer.
Denn im Kern geht es nicht darum, viele innere Anteile zu verwalten –sondern darum, dem eigenen Inneren ein Zuhause zu geben.

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