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Wussten Sie schon?

Die dritte Welle der Pandemie - Psychische Erkrankungen!

Ein Artikel von Anne Brüning Die weltweite Online-Umfrage COH-FIT, an der jeder teilnehmen kann, soll klären, wie sich Corona und die Lockdowns auf Körper und Seele auswirken. Studienleiter Christoph Correll von der Charité Berlin befürchtet, dass es vermehrt zu Depressionen, Sucht und Suizidversuchen kommt.    Die Corona-Krise ist auch eine Herausforderung für die Psyche. Illustration: Ikon Images  BerlinEs ist ein großes Vorhaben, das die Charité Berlin gemeinsam mit der Universität Padua in Italien gestartet hat. Weltweit wollen die Forscher Erkenntnisse zur körperlichen und seelischen Gesundheit von Menschen in Zeiten von Corona sammeln. Dazu planen sie Informationen von mehr als 100.000 Teilnehmern in 25 Sprachen zu sammeln. COH-FIT heißt die Studie, die Abkürzung steht für Collaborative Outcomes study on Health and Functioning during Infection Times. Klar, dass ein solches Projekt online abgewickelt wird. Die Daten für die Erhebung werden anonym auf einer Internetseite erfasst. „Wir wollen herausfinden, welche Gruppen der Gesellschaft besonders gefährdet sind, und wem wir jetzt helfen müssen“, sagt Christoph Correll, Direktor der Charité-Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters und einer der beiden Projektleiter der Studie.

Herr Professor Correll, was soll Ihre Studie ans Licht bringen? Wir wollen untersuchen, wie sich Covid-19 und die von Land zu Land sowie im Verlauf der Zeit unterschiedlichen Lockdown- und Quarantäne-Maßnahmen auf das körperliche und seelische Befinden der Menschen auswirken. Zugleich wollen wir ergründen, was einzelnen Personen zu Resilienz verhilft – also zu psychischer Widerstandskraft. Jeder ist eingeladen, sich an der Studie zu beteiligen und den Online-Fragebogen auszufüllen. Wir freuen uns über so viele Teilnehmer wie möglich. Welche körperlichen und seelischen Folgen sind durch die Corona-Krise zu erwarten? Es war auffällig, dass diejenigen, die körperlich oder seelisch krank sind, in den vergangenen Wochen weniger medizinische Behandlungen in Anspruch genommen haben. Es ist zu befürchten, dass sich dadurch der Zustand der Patienten verschlechtert und es zu einer übermäßigen Welle verzögerter und verschleppter Probleme kommt. Das können körperliche Probleme sein – etwa weil bei chronischen Erkrankungen Medikamente nicht mehr so konsequent eingenommen werden. Es ist durchaus vorstellbar, dass zum Beispiel die Herzinfarktraten steigen. Große Sorgen bereitet uns aber auch, was mit den Menschen passiert, die psychische Vorerkrankungen haben: Angst, Depression, Sucht, Suizidalität, Hoffnungslosigkeit. Störungen, die latent da sind, kommen jetzt eher zum Ausbruch. Die dritte Welle bei Corona ist womöglich die der psychischen Erkrankungen.

Das Schwierige an der Corona-Krise ist ja, dass man nicht weiß, wann sie vorbei ist. Alles ist so unsicher. Wie geht man mit solch einer Situation am besten um? Das ist nicht einfach. Wichtig ist, über die Angst zu reden, die Unsicherheit zu teilen, aktiv zu werden und sich mit anderen zu vernetzen. Deshalb bin ich auch so unglücklich mit dem Begriff Social Distancing. Es müsste Physical Distancing heißen, also körperlicher Abstand. Sozial müssen wir zusammenrücken und uns vernetzen, um so gut wie möglich durch die Krise zu kommen.

++++++++++++++++++++++ Zur Person Christoph Correll (53) ist seit 2017 Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Charité Berlin. Zuvor forschte und lehrte er zwanzig Jahre lang in den USA, wo er immer noch eine Professur innehat – und zwar an der Donald and Barbara Zucker School of Medicine in Hofstra/Northwell in New York.Was wollen Sie in der Umfrage alles wissen? Es geht zum Beispiel darum, was sich beim Gesundheitsverhalten in der Pandemie geändert hat. Ob also verordnete Medikamente weiter eingenommen und ob Arzttermine ausgelassen wurden. Außerdem fragen wir nach bestehenden körperlichen und seelischen Erkrankungen. Thematisiert wird aber auch, was den Menschen hilft, durch die Krise zu kommen. Es sind schon einige Fragen. Für die Versionen für Jugendliche und Erwachsene sollte man sich 35 bis 40 Minuten Zeit nehmen. Die Version für Kinder dauert 15 bis 20 Minuten.

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Es sollen also auch Kinder mitmachen? Das ist nicht in allen Ländern so. Aber in Deutschland wollen wir unbedingt auch Kinder ab sechs Jahren und Jugendliche mit einbeziehen. Dazu ist das Einverständnis der Eltern erforderlich, und wir mussten uns die Umfrage vorab von einer Ethikkommission genehmigen lassen. Deshalb ist die Studie bei uns auch später gestartet – Mitte Mai. In anderen Ländern ging es schon zwei bis vier Wochen früher los.

Wie viele Teilnehmer gibt es schon? In Deutschland bereits rund 2400, weltweit sind es schon mehr als 50.000 aus 119 Ländern. Das ist eine tolle und für uns unerwartete große und weitflächige Resonanz.

Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen? Uns hat die Pandemie zunächst selbst zu schaffen gemacht. Wir fühlten uns in der Situation gefangen, wollten aber nicht einfach passiv sein und abwarten, bis ein Impfstoff gefunden wird. So kamen wir auf die Idee, die Zeit aktiv zu nutzen, um herausfinden, wie es anderen Menschen in der Corona-Krise geht, welche Gruppen besonders gefährdet sind – und welche Strategien bei der Bewältigung der Situation helfen.

Warum die Kooperation mit der Universität Padua? Mit Marco Solmi, mit dem ich die Studie leite, kooperiere ich schon seit Jahren für wissenschaftliche Studien. Er ist ebenfalls Psychiater. Wir kennen uns gut und waren beide bereit, uns voll auf dieses Großprojekt zu stürzen. Wir hatten mitbekommen, dass es in anderen Ländern schon vereinzelt Projekte dazu gab, fanden es aber wichtig, diese Studie formal wie inhaltlich richtig groß aufzuziehen. Wie schnell haben Sie das alles auf die Beine gestellt? Die Idee entstand bei einem Telefonat Ende März. Binnen zwei Wochen haben wir 200 Wissenschaftler aus mehr als 40 Ländern für das Projekt gewinnen können. Außerdem haben wir den Fragebogen konzipiert und in 25 Sprachen übersetzen lassen. Wir hatten etliche Videokonferenzen bis nachts um vier. Sie planen drei Erhebungszeiträume: Die Zeit jetzt zu Beginn der Pandemie und dann nochmal sechs und zwölf Monate nach offiziellem Pandemie-Ende. Wie wird man daran erinnert, dann nochmal teilzunehmen? Die Umfrage ist doch anonym. Es ist nicht vorgesehen, dass dieselben Leute nochmal befragt werden. Unsere Studie hat einen sogenannten cross-sektionalen Ansatz. Die Personen, die wir jetzt befragen, bitten wir zum Beispiel, uns zu sagen, wie es ihnen jetzt geht und wie es vor Corona war. Gleichermaßen ist es bei den Umfragen nach Ende der Pandemie. Da bitten wir um Angaben zum aktuellen Befinden und dem in der Zeit vor Corona. So können wir auch erfassen, ob und bei wem es chronische Langzeitschäden durch die Pandemie gibt - und welche es sind.

Wann gibt es die ersten Ergebnisse? Vermutlich werden wir noch im Juni mit dem Auswerten beginnen. Die ersten Publikationen mit Ergebnissen könnten schon in zwei Monaten fertig sein. Wir wollen ja möglichst noch während der Pandemie herausfinden, welches die vulnerablen, also anfälligen Gruppen sind und welche Angebote man ihnen machen kann.

Lassen sich überhaupt repräsentative Ergebnisse erzielen, wenn einfach jeder mitmacht, der sich dafür interessiert? Das ist durchaus ein Problem. Es nehmen natürlich eher die Motivierten an solch einer Umfrage teil. Um dem Problem zu begegnen, wollen wir parallel auch repräsentative Bevölkerungs-Stichproben über Meinungsforschungsinstitute befragen lassen. Dann können wir die nicht-repräsentative mithilfe der repräsentativen Stichprobe gewichten und adjustieren. Auf diese Weise verhindern wir Verzerrungen, etwa weil bestimmte Gruppen in der Gesellschaft bei solchen Aktionen normalerweise eher nicht mitmachen.

Sie sprechen explizit auch Familien an. Warum? Weil wir wissen, dass die Corona-Krise für viele Kinder und Jugendliche eine Erschütterung darstellt. Sie befinden sich in sensiblen und schutzbedürftigen Entwicklungsphasen. Da wollen wir vorbeugend wirksam sein.

Was ist Ihre Befürchtung? Kinder sind relativ biegsam und können sich gut anpassen, wenn die Eltern einen Rahmen vorgeben, in dem sie sich wieder sicher fühlen. Wenn es bei Schulkindern im häuslichen Umfeld relativ gut läuft, sehe ich keine größere Gefahr. Schwieriger ist es bei Jugendlichen, die sich von Erwachsenen und der Erwachsenenwelt ohnehin eingeschränkt fühlen. Jetzt dürfen sie ihre Freunde nicht sehen, müssen viel Eigenstruktur aufbringen. Ich befürchte, dass diejenigen, die damit ohnehin schon Probleme hatten und bei denen es dazu noch im häuslichen Umfeld nicht so gut läuft, jetzt durchs Raster fallen. Sie konsumieren vielleicht nur noch Medien, spielen online und rauschen in Richtung Sucht ab.

Wo ist es ansonsten besonders kritisch? In Familien, bei denen es sowieso schon gehapert hat, die zum Beispiel keine Gesprächs- und Konfliktlösungskultur haben und die auch ökonomisch nicht gut abgesichert sind. Dort kann es jetzt in der Krise durchaus schwierig werden. Es kann zu häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch kommen sowie zu verstärktem Alkoholkonsum. Allgemein befürchten wir, dass es bei starker Belastung vermehrt zu Suizidversuchen kommt. Was wird man aus der Studie lernen können? Ich hoffe, dass wir herausfinden, welche Gruppen der Gesellschaft besonders gefährdet sind und wem wir jetzt helfen müssen. Wichtig ist auch zu sehen, welche Strategien eher negativ sind und welche eher positiv. Vielleicht können wir durch die Studie zum Beispiel genauer sagen, welche Effekte allgemeine Empfehlungen wie ein strukturierter Tag, Sport, Achtsamkeit, gezielte Entspannung, Aktivität (allein sowie gemeinsam) oder Spaziergänge in der Natur haben – und wem sie besonders nützen könnten.


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