Leben im Kontrollverlust
- info44776
- vor 6 Tagen
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Wie chronische Unsicherheit uns verändert – psychologisch, neuronal, gesellschaftlich
Die Welt ist laut, schnell und unberechenbar geworden. Viele Menschen haben das Gefühl, nicht mehr mitzukommen – nicht nur im Außen, sondern auch in sich selbst.Krisen reihen sich aneinander: Krieg, Klimakollaps, Wirtschaft, KI, Krankheit.Was fehlt, ist ein Grundgefühl, das für die psychische Gesundheit essenziell ist: Sicherheit.
Doch was passiert mit uns, wenn Sicherheit zur Ausnahme wird – und chronische Unsicherheit zum neuen Normal?
Das Gehirn liebt Kontrolle – aus gutem Grund
Aus neurobiologischer Sicht ist das menschliche Gehirn ein Vorhersageapparat. Es scannt permanent:
Was passiert als Nächstes?
Bin ich in Gefahr?
Was kann ich tun, um sicher zu sein?
In stabilen Umgebungen funktioniert dieses System hervorragend.Doch in einer Welt, die sich rasend schnell verändert, erlebt das Gehirn:
„Ich weiß nicht, was kommt – und ich kann es nicht beeinflussen.“
Die Folge: Dauerstress.
Was chronische Unsicherheit mit uns macht
1. Neuronal: Das Nervensystem im Alarmmodus
Das autonome Nervensystem (v. a. Sympathikus) bleibt dauerhaft aktiviert
Der Cortisolspiegel steigt – und mit ihm:
Schlafstörungen
Reizbarkeit
Erschöpfung
Das Stresszentrum (Amygdala) wird überempfindlich, der präfrontale Kortex (Zentrum für Planung, Impulskontrolle, Klarheit) wird gehemmt
Resultat: Wir reagieren statt zu reflektieren.
2. Psychologisch: Zwischen Ohnmacht und Überfunktion
Menschen gehen mit Kontrollverlust unterschiedlich um – häufig unbewusst. Typische psychische Reaktionsmuster sind:
Kontrollverhalten: Zwanghafte Planung, Perfektionismus, Rückzugsverhalten
Abwehr & Verdrängung: „Es wird schon nicht so schlimm“ – bis der Körper reagiert
Überkompensation: Mehr tun, mehr leisten, mehr scrollen – bis zur Erschöpfung
Angststörungen & Depressionen: Wenn Unsicherheit dauerhaft dominiert und keine Auswege gefühlt werden
3. Sozial & gesellschaftlich: Polarisierung, Rückzug, Misstrauen
In unsicheren Zeiten suchen Menschen Halt – häufig in:
Extremen Meinungen
Schuldzuweisungen
Isolation
Auch Beziehungen leiden:
Nähe wird zur Belastung
Kommunikation wird gereizt oder oberflächlich
Rückzug oder emotionale Abspaltung nehmen zu
Was wirklich hilft: Emotionale Sicherheit statt Kontrolle
Kontrolle ist oft nur eine Ersatzstrategie für das, was wir eigentlich brauchen: Sich sicher fühlen – im Innen wie im Außen.Das bedeutet:
Innere Sicherheit aufbauen
Selbstregulation lernen: Atemtechniken, Somatic Tools, Achtsamkeit
Den eigenen Emotionen Raum geben
Nervensystem beruhigen durch Routinen & bewusste Pausen
Selbstwirksamkeit stärken
Kleine, konkrete Handlungen statt Ohnmacht
Was kann ich heute beeinflussen?
Nicht alles lösen wollen – sondern annehmen, was ist
Verbindung statt Rückzug
Gespräche, Nähe, Zugehörigkeit aktiv suchen
Auch Unsicherheiten teilen – nicht alles „halten“ müssen
Sich erlauben, nicht immer „funktionieren“ zu müssen
Fazit:
Unsicherheit ist menschlich – doch sie darf nicht chronisch werden.Ein Leben im Dauer-Alarm macht krank – neuronal, psychisch, zwischenmenschlich.Was heilt, ist nicht die perfekte Kontrolle.Was heilt, ist echte innere Sicherheit.
Und die beginnt mit einem neuen Umgang:Mit sich selbst, den eigenen Grenzen – und mit der Welt, so ungewiss sie auch sein mag.

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