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Wussten Sie schon?

Wenn Schmerzen chronisch werden

Schmerzen sind ein Alarmsignal des Körpers. Wer sie dauerhaft hat, leidet oft erheblich. Wie Schmerz entsteht, was Sie tun können.


VON DR. RALPH MÜLLER-GESSER, AKTUALISIERT vom 02.06.2016


Schmerzen quälen, martern, klopfen, pochen oder stechen. Manchmal bohren sie, brennen, drücken, kribbeln oder elektrisieren. Viele Wörter eignen sich, um Schmerzen zu beschreiben, denn jeder fühlt und erlebt sie anders. Trotz der Vielfalt der Begriffe findet sich eine Gemeinsamkeit: Schmerz erfüllt eine Funktion. Er signalisiert: "Vorsicht, hier stimmt etwas nicht." Denn normalerweise schmerzt es, wenn dem Körper Schaden droht – durch äußere Einflüsse oder Erkrankungen. Wie wichtig diese Funktion ist, lässt sich an jenen Menschen erkennen, die Schmerzen gar nicht oder kaum wahrnehmen. Beispiel Diabetes: Schreitet die Zuckerkrankheit voran, funktionieren die Nerven in den Füßen oft nicht mehr. Eine solche Polyneuropathie kann die Füße schmerzunempfindlich machen, zu deformierten Zehen sowie chronisch infizierten Wunden führen.


Wie Schmerz entsteht Das Alarmsignal Schmerz nimmt seinen Ausgang in Haut und Organen. Dort verfügt der menschliche Körper über spezielle Fühler, die Nozizeptoren. Sie senden elektrische Impulse aus, wenn sie Kälte, Hitze, Strom, bestimmten chemischen Stoffen oder hohem Druck ausgesetzt sind. Oder bei Verletzungen. Die Signale der Nozizeptoren werden über spezielle Schmerzfasern ins Rückenmark weitergeleitet und dort verarbeitet. Über die Schaltstelle im Rückenmark können Reflexe ausgelöst werden: Beispielsweise aktiviert sie jene Muskeln, die die Hand von der heißen Herdplatte ziehen. Dabei nimmt der Betroffene noch keinen bewussten Schmerz wahr. Das geschieht erst, nachdem die Signale vom Rückenmark ins Gehirn gelangt sind und dort mehrere Kontrollinstanzen in Hirnrinde, Zwischenhirn und Hirnstamm angeregt haben.  

Was die Schmerzwahrnehmung beeinflusst Die vielen Verschaltungen und Verarbeitungsprozesse beeinflussen die Wahrnehmung akuter Schmerzen. Dabei spielt nicht nur der aktuelle Gemütszustand eine Rolle. Von großer Bedeutung sind bisherige Schmerzerfahrungen. Denn diese Informationen verändern jene Nervenzellen von Gehirn und Rückenmark, die eintreffende Impulse hemmen oder verstärken und damit die Wahrnehmung beeinflussen. Welche Macht diese unzähligen Sachbearbeiter des Schmerzes haben, zeigt sich nicht zuletzt in Ausnahmesituationen: Verletzen sich beispielsweise Sportler während eines Wettkampfs, spüren sie – selbst bei schwerwiegenden Verletzungen – oft keinen Schmerz. Erst nach der Belastung machen sich die Beschwerden bemerkbar. Verletzungen der Haut oder der Schleimhaut, Muskeltraumen, Prellungen, Knochenbrüche oder auch Operationen aktivieren die Schmerzfühler im Gewebe und erzeugen sogenannte somatische Schmerzen. Liegt die Ursache in einem Organ, bezeichnen Ärzte die Beschwerden als viszerale Schmerzen. Das ist beispielsweise bei einer Bauchspeicheldrüsenentzündung, bei Tumoren oder einem Herzinfarkt der Fall. Akute Schmerzen erfordern oft Sofort-Maßnahmen: Ein verstauchter Knöchel gehört beispielsweise entlastet, gekühlt, mit einem Verband versehen und hochgelagert (PECH-Regel). Eine Wunde am Finger sollte je nach Art und Größe desinfiziert und mit einem Pflaster oder Verband versorgt werden.

Wenn Schmerzen chronisch werden Nicht immer verschwinden Schmerzen wieder. Bisweilen bleiben sie für Wochen, Monate oder sogar Jahre – oder sie kommen in regelmäßigen Abständen wieder. "Die Ursachen chronischer Schmerzen unterscheiden sich erheblich", sagt Professor Christoph Maier, Leiter der Abteilung für Schmerzmedizin am Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum. Manchmal beruhen sie auf einer Dauerreizung der Schmerzfühler (Nozizeptor-Schmerz). Dies ist bei bestimmten chronischen Erkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis, Wundschmerzen oder Bauchkrämpfen (Koliken) der Fall.

Neuropathischer Schmerz Auch Schäden an jenen Nervenfasern, die Schmerzsignale weiterleiten, können für Dauerschmerzen verantwortlich sein. Werden die Fasern an einer Stelle beschädigt oder zusammengedrückt, büßen sie ihre Funktion ein und senden ständig Impulse. Diese neuropathischen Schmerzen beschreiben die Betroffenen als kribbelnd, elektrisierend oder einschießend. Oft fällt es schwer, den Schmerz exakt zu orten. Denn die beschädigten Nerven liefern falsche Informationen. Sie täuschen den Betroffenen, sodass es ihn oft gar nicht an der eigentlichen Stelle schmerzt, sondern woanders. Ein extremes Beispiel sind Phantomschmerzen nach einer Amputation: Hier empfinden die Patienten Schmerzen in einem Körperteil, das nicht mehr da ist. Neuropathische Schmerzen können auch im Verlauf einer Zuckerkrankheit auftreten (diabetische Neuropathie), bei Bandscheibenvorfällen sowie nach Nervenentzündungen wie einer Gürtelrose (Herpes zoster) oder nach einem Schlaganfall. Bei vielen Krankheitsbildern überlagern sich Nozizeptor-Schmerz und neuropathische Schmerzen. Das gilt insbesondere für Tumorschmerzen.


Fehlsteuerungen und psychische Belastungen

Als weitere Ursache chronischer Schmerzen kommen Fehlsteuerungen infrage. Beispiel Rückenschmerzen: Diese beginnen oft mit der Funktionsstörung eines Muskels, einer Muskelverspannung. Die sorgt für weitere Verspannungen, was die Schmerzen wiederum verstärkt. Dem Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom (Morbus Sudeck) liegt ein Steuerungsfehler des vegetativen Nervensystems zugrunde. Bei Migräne-Attacken ist wohl der Blutfluss im Gehirn, bei Spannungskopfschmerzen vermutlich die Funktion der Nackenmuskulatur gestört.

Für manche chronischen Schmerzen wiederum lässt sich trotz aller Untersuchungen und Tests keine plausible Erklärung finden. Das gilt vor allem für einige Formen anhaltender Magen-Darm-Beschwerden, Herz- oder auch Kreuzschmerzen. In solchen Fällen kann es hilfreich sein, psychische Belastungen sowie Stress im beruflichen und privaten Umfeld als Ursache heranzuziehen (psychosomatischer Schmerz). 


Das "Schmerzgedächtnis"

Bei manchen Patienten verselbstständigt sich der Schmerz und wird zu einem eigenen Problem. Ärzte sprechen von Chronifizierung, Patienten oft vom Schmerzgedächtnis. Der populäre Begriff dient dazu, jene biochemischen und physiologischen Veränderungen an Rezeptoren im Rückenmark und Gehirn zu beschreiben, die Dauerschmerzen hervorrufen. Doch anders als von vielen Patienten vermutet, geht es bei einer effektiven Schmerztherapie nicht darum, die Veränderungen im Gehirn rückgängig zu machen und damit das angeblich vorhandene Schmerzgedächtnis zu löschen. Vielmehr sollen die Betroffenen vor allem lernen, mit den Schmerzen zu leben und mit der Angst vor ihnen umzugehen.

Als hilfreich hat sich ein multimodaler Ansatz erwiesen, bei dem die Therapie auf verschiedenen, individuell abgestimmten Pfeilern ruht. Dabei kommen neben Medikamenten (Schmerzmitteln) auch psychotherapeutische Verfahren (verhaltenstherapeutische Ansätze, Einzel- und Gruppentherapien, Entspannungsverfahren), Physiotherapie (zum Beispiel Massagen, Krankengymnastik, Lymphdrainage, Wärme- und Kältereize, Strom), Sport- und Ergotherapie sowie komplementäre Verfahren (zum Beispiel Phytotherapie, Akupunktur) zum Einsatz.


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