Macht, Kontrolle und die stille Psychologie der Anpassung – von der Stasi zum digitalen Panoptikum
- info44776

- 17. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Macht war nie nur eine politische oder ökonomische Angelegenheit. Sie greift tief in die Psyche ein. Die Stasi war ein Meister darin, nicht nur Informationen zu sammeln, sondern Menschen durch die Illusion ständiger Beobachtunggefügig zu machen. Der Übergang von äußerem Druck zu innerer Selbstzensur ist der Kern psychologischer Machtausübung – und genau hier wird die Vergangenheit heute wieder beunruhigend aktuell.
Die Psychologie der Angst – damals und heute
In der DDR reichte oft schon das Gefühl, beobachtet zu werden, um Abweichung zu unterdrücken. Wer glaubte, ein Spitzel könnte zuhören, schwieg lieber. Michel Foucaults Bild des „Panoptikums“ beschreibt das treffend: Es genügt die Möglichkeit der Beobachtung, um Verhalten zu kontrollieren.
Heute spielt sich dieselbe Mechanik digital ab. Smartphones, Apps und Suchmaschinen speichern Standort, Kontakte, Interessen. Wir verändern unser Verhalten, posten vorsichtiger, googeln zurückhaltender, formulieren angepasster – nicht, weil jemand direkt verbietet, sondern weil alles für immer abrufbar sein könnte.
Beispiel: In China macht das Social Credit System diese Logik offiziell. Wer „unangepasst“ handelt – zu viele Schulden, kritische Äußerungen, „asoziales“ Verhalten – verliert Punkte und damit Reise- oder Kaufrechte. Aber auch in Europa rücken neue Überwachungsprojekte näher, etwa die Chatkontrolle der EU, die verschlüsselte Kommunikation aufbrechen soll.
Zersetzung 2.0
Die Stasi nutzte Zersetzung, um Menschen systematisch zu destabilisieren: Freunde gegeneinander aufhetzen, Gerüchte streuen, Karrieren sabotieren. Ziel war psychische Zermürbung.
Heute wirken ähnliche Muster über digitale Desinformation und Social Media. Studien zeigen, dass Fake News sich sechsmal schneller verbreiten als Fakten. Algorithmen verstärken Empörung, um Aufmerksamkeit zu maximieren – mit der Folge, dass Misstrauen und Polarisierung ganze Gesellschaften spalten. Psychologisch ist es dieselbe Waffe wie damals: Die Gruppe verliert Vertrauen in sich selbst, und isolierte Individuen lassen sich leichter lenken.
Macht als Suchtmittel
Neurowissenschaftlich aktiviert Macht die gleichen Belohnungszentren wie Kokain. Das erklärt, warum Systeme der Überwachung kaum freiwillig abgebaut werden: Macht macht süchtig.
Für die Stasi war die Kontrolle über das Private ein Selbstzweck. Heute sehen wir ähnliche Muster: Staaten horten Daten, Geheimdienste begründen Massenüberwachung mit „Sicherheit“, Konzerne wie Meta, Google oder Amazon sammeln Informationen, um Verhalten vorherzusagen – und zu steuern.
Vom Staat zum Algorithmus
Die DDR-Stasi hatte ihre Aktenräume. Heute haben wir digitale Schattenprofile, die noch weitreichender sind. Jeder Klick, jeder Kauf, jedes Gespräch mit dem Smartphone in der Tasche hinterlässt Spuren.
Der Unterschied: Damals war Überwachung ein sichtbares Instrument der Macht, heute wird sie als Komfort verkauft. Niemand zwingt uns, Sprachassistenten zu nutzen oder Fitness-Apps unsere Daten zu geben – wir tun es freiwillig. Damit entsteht ein neues Panoptikum: Wir kontrollieren uns selbst, weil wir wissen (oder ahnen), dass unsere Daten verwertet werden.
Lektionen für die Gegenwart
Die Geschichte der Stasi mahnt uns, wie schnell Gesellschaften sich an Überwachung gewöhnen. Heute sehen wir ähnliche Entwicklungen:
China: Das Social-Credit-System macht Überwachung zum Teil des Alltags.
USA & Europa: Massenüberwachung durch Geheimdienste (NSA, Pegasus-Skandal, EU-Chatkontrolle).
Social Media: Digitale Empörung ersetzt Debatte, Zersetzung funktioniert per Algorithmus.
Psychologisch entscheidend: Menschen passen sich an. Sie sagen nicht mehr, was sie denken, sondern was „sicher“ ist. Sie passen ihr Verhalten an eine unsichtbare Norm an. Und genau das ist die wirksamste Form der Macht.
Fazit
Die Stasi ist Geschichte – aber die Psychologie der Kontrolle lebt fort. Was früher Spitzel und Zersetzung waren, sind heute Big Data, Algorithmen und Social Credit. Der Mechanismus ist derselbe: Macht wirkt am stärksten, wenn sie unsichtbar bleibt – und wir beginnen, uns selbst zu überwachen.
Die entscheidende Frage lautet nicht: „Wer überwacht uns?“Sondern: „Wann haben wir aufgehört, uns zu fragen, ob wir noch frei sind?“

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