Regeln? Gelten nur für andere! - Wenn Doppelmoral zum Lebensstil wird
- info44776

- vor 3 Tagen
- 3 Min. Lesezeit
Psychologische Hintergründe, Dynamiken und Umgangsstrategien
Fast jeder kennt sie: Menschen, die von anderen ein regelkonformes, „anständiges“ Verhalten erwarten – selbst jedoch ständig Grenzen überschreiten, Vorschriften ignorieren und sich dabei auch noch überlegen fühlen. Wenn sie auf ihr Verhalten hingewiesen werden, reagieren sie gekränkt, wütend oder gar angriffslustig. Die Folge: eine typische Täter-Opfer-Umkehr. Plötzlich sind nicht sie diejenigen, die sich danebenbenehmen, sondern die anderen, die „zu empfindlich“, „rechthaberisch“ oder „respektlos“ seien.
Dieses Verhalten ist nicht nur anstrengend, sondern auch psychologisch höchst interessant. Es verweist auf tieferliegende Persönlichkeitsstrukturen und Mechanismen des Selbstschutzes.
Psychologische Grundlagen: Warum Menschen mit zweierlei Maß messen
Das Messen mit zweierlei Maß ist ein Abwehrmechanismus – eine Strategie, um das eigene Selbstbild zu schützen. Dahinter steckt meist eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild: Diese Personen wollen sich als stark, unabhängig oder moralisch überlegen erleben, gleichzeitig empfinden sie aber oft Scham, Unsicherheit oder Angst vor Kontrollverlust.
Um diese unangenehmen Gefühle nicht spüren zu müssen, verlagern sie Verantwortung nach außen:
„Ich halte mich nicht an Regeln, weil ich frei bin.“
„Andere müssen sich aber anpassen, weil sie sonst Chaos verursachen.“
Dieses paradoxe Denken ermöglicht es, sich gleichzeitig als Opfer („Alle sind gegen mich“) und als Held („Ich bin der Einzige, der mutig ist“) zu fühlen.
Typische Persönlichkeitsmuster
Narzisstische Persönlichkeitszüge
Menschen mit narzisstischen Tendenzen haben ein überhöhtes Selbstbild, das aber innerlich sehr fragil ist. Regeln gelten für sie nicht, weil sie sich als „besonders“ empfinden.Wenn man sie auf ihr Verhalten hinweist, erleben sie das als narzisstische Kränkung – eine Bedrohung ihres grandiosen Selbstbildes. Die Reaktion: Wut, Aggression oder Entwertung des Gegenübers („Du hast keine Ahnung“, „Du bist lächerlich“).
Antisoziale bzw. dissoziale Züge
Diese Personen lehnen gesellschaftliche Normen grundsätzlich ab und empfinden keine Schuld, wenn sie andere ausnutzen. Sie genießen es manchmal sogar, andere zu provozieren, weil Regelbrüche ihnen ein Gefühl von Macht verleihen. Wird man ihnen gegenüber konsequent, deuten sie das als Angriff und stellen sich selbst als Opfer dar.
Borderline- oder histrionische Züge
Hier spielt Impulsivität und emotionale Instabilität eine Rolle. Regeln werden im Affekt ignoriert, und wenn andere Grenzen setzen, empfinden sie das als Zurückweisung. Die Täter-Opfer-Umkehr dient hier vor allem der Affektregulation – sie hilft, das Gefühl von Scham oder Ohnmacht abzuwehren.
Passive-aggressive Muster
Diese Personen halten sich bewusst nicht an Absprachen oder Regeln, um indirekt Kontrolle auszuüben. Wenn sie darauf angesprochen werden, reagieren sie beleidigt oder geben den anderen die Schuld: „Ich wollte ja, aber du hast’s mir schwer gemacht.“ Auch hier dient das Verhalten dazu, Macht zu behalten, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen.
Die Dynamik der Täter-Opfer-Umkehr
Täter-Opfer-Umkehr ist ein zentraler Bestandteil dieses Verhaltens.Das Muster verläuft typischerweise in drei Schritten:
Regelbruch oder Provokation: Die Person überschreitet bewusst oder unbewusst Grenzen.
Konfrontation: Das Umfeld reagiert – ruhig oder verärgert – und spricht das Verhalten an.
Umkehr: Der Regelbrecher inszeniert sich als Opfer von Ungerechtigkeit, Angriff oder „Missverständnis“.
Dadurch wird der ursprüngliche Konflikt verschoben: Nicht mehr das Verhalten steht im Fokus, sondern die vermeintliche „Bosheit“ oder „Härte“ der anderen. Das schützt das fragile Selbstbild, aber verhindert jede Form von Reflexion oder Entwicklung.
Umgang mit solchen Menschen
Grenzen klar und ruhig setzen
Emotionale Reaktionen wie Wut oder Rechtfertigungen verstärken nur die Täter-Opfer-Umkehr. Besser ist ein ruhiger, sachlicher Ton:
„Ich sehe, dass du das anders siehst. Trotzdem gilt diese Regel für uns beide.“
Keine Machtspiele eingehen
Solche Personen provozieren gern, um Kontrolle zu gewinnen. Wer sich auf endlose Diskussionen einlässt, verliert. Kurz, klar, konsequent bleiben.
Verantwortung konsequent zuordnen
Nicht übernehmen, was nicht das eigene Problem ist. Wenn jemand eine Regel bricht, ist das seine Entscheidung, nicht die Schuld der anderen.
Grenzen schützen – auch durch Distanz
In Beziehungen, am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis kann es nötig sein, sich zu distanzieren.Dauerhafter Kontakt mit Menschen, die ständig Täter-Opfer-Umkehr betreiben, kann emotional erschöpfend sein.
Kein missionarischer Eifer
Versuche, solche Menschen „zur Einsicht“ zu bringen, scheitern oft. Veränderung ist erst möglich, wenn sie selbst einen Leidensdruck empfinden.
Fazit
Menschen, die mit zweierlei Maß messen, sind keine Seltenheit. Hinter ihrem Verhalten stehen meist tieferliegende psychische Muster: narzisstische Kränkungen, Kontrollbedürfnis, Angst vor Schwäche oder Scham. Sie halten sich für Opfer, um nicht Täter sein zu müssen – und sichern so ihr brüchiges Selbstbild.
Der wichtigste Schutz ist innere Klarheit: Erkennen, dass ihre Maßstäbe unlogisch und unaufrichtig sind – und sich weigern, in ihr Spiel einzusteigen. Wer Grenzen ruhig, aber bestimmt zieht, entzieht ihnen die Bühne, auf der sie sich als Opfer inszenieren.

Kommentare