Scrollen auf dem stillen Örtchen – Warum wir nicht mehr ohne Handy aufs Klo können
- info44776
- 28. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Psychologische Perspektiven auf digitale Gewohnheiten, Darm und Dopamin
Es ist längst ein kulturelles Phänomen: Das Smartphone ist beim Gang zur Toilette so selbstverständlich wie das Toilettenpapier. Social Media, News, Chats – alles wird im Badezimmer konsumiert. Manche behaupten sogar scherzhaft: „Ohne Instagram kommt meine Verdauung nicht in Gang.“Doch was steckt wirklich dahinter?Regt das Handy tatsächlich die Verdauung an – oder eher etwas ganz anderes?
Der Griff zum Handy – ein psychologisch erklärbares Muster
1. Automatisierter Impuls
Das Handy ist für viele Menschen zur verlängerten Hand geworden. Sobald ein Moment der Ruhe entsteht – sei es an der roten Ampel, in der Warteschlange oder eben auf der Toilette – greifen wir automatisch zum Smartphone. Nicht aus echtem Bedürfnis, sondern aus Gewohnheit.
2. Flucht vor Stille
Die Toilette ist oft einer der wenigen Orte, an dem wir mit uns allein sind. Keine Aufgaben, kein Small Talk, kein Multitasking. Genau diese Leere – diese Pause – empfinden viele heute als unangenehm. Das Handy füllt diese Stille und lenkt von innerem Erleben ab.
Kurze Pause = Gelegenheit zur Selbstbegegnung…die oft mit Scrollen betäubt wird.
3. Mikrobelohnung durch Dopamin
Social Media, News-Feeds und Reels sind so designt, dass sie unser Dopaminsystem stimulieren: kleine Belohnungen durch Likes, Nachrichten, neue Reize. Das verstärkt das Verhalten – und macht es zur Routine, selbst auf der Toilette.
Aber regt das wirklich die Verdauung an?
Direkt: Nein. Es gibt keinen physiologischen Beweis, dass Social Media die Verdauung fördert.Indirekt: Vielleicht. Denn:
Entspannung unterstützt den Parasympathikus – das sogenannte „Rest-and-Digest“-System.
Wer sich auf der Toilette entspannt (weil man abschaltet oder kurz „abschweift“), kann möglicherweise leichter loslassen – auch körperlich.
ABER: Diese Entspannung kann genauso (oder besser) durch bewusste Atmung, Stille, Achtsamkeit entstehen.
Das Handy simuliert Entspannung – doch oft aktiviert es eher das Gegenteil: Reizüberflutung, innere Unruhe, ständiges Warten auf Input.
Psychologische Folgen der Dauerbeschäftigung – auch auf dem Klo
Verlust echter Pausen: Das Gehirn braucht Leerlauf, um Eindrücke zu verarbeiten. Wer selbst auf der Toilette „Content konsumiert“, raubt sich wichtige Mikromomente der Regeneration.
Verstärkte Reizabhängigkeit: Je mehr wir uns daran gewöhnen, ständig stimuliert zu werden, desto schwerer fällt es, in Stille zu sein – mit Gedanken, Gefühlen oder Körperempfindungen.
Entfremdung vom Körper: Der Toilettengang ist eigentlich ein Moment der Körperwahrnehmung. Wer dabei dauerhaft „im Kopf“ und auf dem Display ist, verpasst diese Rückverbindung.
Veränderte Beziehung zur Intimität: Selbst der Rückzugsort Bad wird digital kolonialisiert – ein weiterer Raum, in dem wir nicht mehr bei uns sind.
Was wäre gesünder? – Achtsamkeit statt Ablenkung
Die Toilette könnte wieder das werden, was sie früher war: ein stiller Ort der Entleerung – nicht nur körperlich, sondern auch mental.
Handy draußen lassen – probiere es bewusst eine Woche lang.
Bewusst atmen – 3 tiefe Atemzüge helfen, im Körper anzukommen.
Körper spüren – Was passiert gerade in mir? Wie geht es meinem Bauch?
Kurze Achtsamkeitsübung: z. B. 10 Sekunden die Geräusche im Raum wahrnehmen.
Nicht alles überbrücken wollen – Langeweile ist nicht gefährlich, sondern heilsam.
Fazit: Verdauung braucht kein WLAN
Nein – Social Media regt die Verdauung nicht direkt an. Aber unser Wunsch nach Entspannung, Belohnung und Ablenkung ist real. Das Smartphone auf der Toilette ist ein Spiegel unserer Zeit: Wir haben verlernt, mit uns selbst allein zu sein – sogar für zwei Minuten.
Wer es schafft, das Handy auch auf der Toilette mal beiseite zu lassen, trainiert nicht nur seine Präsenz, sondern fördert auch eine gesündere Beziehung zum eigenen Körper und Nervensystem.
Verdauen – körperlich und seelisch – braucht Stille, nicht Scrollen.

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