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Wussten Sie schon?

Der Wille zur Hortung – Warum wir heute Ausbildungen und Zertifikate sammeln

Manchmal begegnet man Menschen, die ganz nebenbei erzählen: „Ach übrigens, ich habe auch eine Coaching-Ausbildung gemacht“ oder „Eigentlich bin ich auch Webdesignerin“. Und doch haben sie in diesem Feld nie gearbeitet oder das Gelernte nie wirklich angewendet. Zertifikate stapeln sich in Ordnern, Weiterbildungen füllen den Lebenslauf – aber praktisch genutzt werden sie oft nicht.

Was steckt dahinter? Warum sammeln wir heutzutage Ausbildungen und Abschlüsse wie andere Briefmarken oder Sneakers?

Psychologischer Blick: Selbstwert und Identität

Ein Zertifikat ist mehr als ein Stück Papier – es ist ein sichtbarer Beweis von Kompetenz. In einer Welt, in der Anerkennung eng mit Leistung verknüpft ist, können Abschlüsse den Selbstwert kurzfristig stärken.

  • Anerkennung: Ein Zertifikat vermittelt uns, dass wir „etwas geschafft haben“ – auch wenn wir das Gelernte nicht in die Praxis bringen.

  • Identität: Viele Ausbildungen geben uns die Möglichkeit, uns mit einer neuen Rolle zu identifizieren („Ich bin Coach“, „Ich bin Yogalehrerin“), selbst wenn wir diese Rolle nicht leben.

  • Sicherheit: Das Gefühl, gerüstet zu sein für eine unsichere Zukunft, vermittelt eine gewisse Beruhigung – auch wenn wir die neue Fähigkeit nie aktiv einsetzen.

Zertifikate können also wie kleine Selbstwert-Booster wirken. Sie füllen innere Lücken, geben Orientierung und lassen uns für einen Moment größer wirken, als wir uns fühlen.

Neurologischer Blick: Dopamin und Belohnungssystem

Das menschliche Gehirn ist auf Belohnung programmiert. Schon das Anmelden zu einer Ausbildung löst Vorfreude aus – Dopamin wird ausgeschüttet. Der Abschluss, das Zertifikat, ist dann der Höhepunkt dieser Belohnungskette.

Das Problem: Das Belohnungsgefühl ist oft nur kurzfristig. Wie beim Kauf eines neuen Geräts oder Kleidungsstücks gewöhnt sich das Gehirn schnell daran. Um den Kick zu wiederholen, suchen wir nach dem nächsten Kurs, der nächsten Weiterbildung. Ein Kreislauf, der stark an Konsumverhalten erinnert – nur dass hier Wissen, Titel und Fähigkeiten die Waren sind.

Gesellschaftlicher Kontext: Der Druck, „mehr“ zu sein

Wir leben in einer Kultur, die von ständiger Selbstoptimierung geprägt ist. Social Media verstärkt diesen Druck: Dort zeigen Menschen ihre Erfolge, ihre Zertifikate, ihre nächsten Schritte – und wir vergleichen uns. Das Sammeln von Abschlüssen wird so zu einem Mittel, mitzuhalten oder dazuzugehören.

Gleichzeitig ist unser Arbeitsmarkt von Unsicherheit geprägt. Flexibilität, Weiterentwicklung, „lebenslanges Lernen“ werden fast wie Pflichten vermittelt. Wer nicht ständig Neues hinzufügt, läuft Gefahr, als „stehengeblieben“ wahrgenommen zu werden.

Was bleibt, wenn der Ordner voll ist?

Die eigentliche Frage ist: Wofür lerne ich?

  • Um mich selbst zu stärken?

  • Um Anerkennung zu bekommen?

  • Oder, um etwas in die Welt zu bringen, das ich wirklich nutzen und gestalten möchte?

Das Horten von Zertifikaten kann eine Form der Selbstberuhigung sein – doch nachhaltige Selbstwirksamkeit entsteht erst, wenn wir das Gelernte anwenden, Erfahrungen machen, auch Fehler zulassen und uns im echten Leben zeigen.

Fazit

Der Wille zur Hortung von Ausbildungen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein menschlicher Versuch, mit Unsicherheit, Selbstwertthemen und gesellschaftlichem Druck umzugehen. Psychologisch gibt uns ein Zertifikat Anerkennung, neurologisch liefert es eine Dopamin-Belohnung – doch die eigentliche Entwicklung geschieht nicht im Sammeln, sondern im Tun.

Vielleicht liegt die wahre Kunst heute nicht darin, immer mehr Zertifikate zu erwerben, sondern mutig mit dem zu arbeiten, was wir bereits in uns tragen.



ree

 
 
 

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