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Wussten Sie schon?

Authentizität vs. gesellschaftliche Erwartungen – der innere Konflikt unserer Zeit

Sei du selbst.Aber bitte angepasst. Erfolgreich. Leistungsfähig. Emotional stabil. Sozial kompatibel.

Kaum ein Begriff wird so häufig beschworen wie Authentizität – und kaum einer ist im Alltag so schwer zu leben. Denn dem Wunsch, echt zu sein, stehen mächtige gesellschaftliche Erwartungen gegenüber: Wie wir zu leben, zu fühlen, zu arbeiten und zu funktionieren haben.

Der Konflikt zwischen Authentizität und Anpassung ist kein individuelles Problem. Er ist ein psychologisches Spannungsfeld, das viele Menschen innerlich zerreißt.


Was Authentizität psychologisch bedeutet

Authentizität heißt nicht, alles ungefiltert auszuleben oder rücksichtslos zu sein. Psychologisch bedeutet sie:

  • im Kontakt mit den eigenen Gefühlen zu stehen

  • die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und ernst zu nehmen

  • die eigene innere Wahrheit zu leben – auch wenn sie unbequem ist

  • stimmig zu handeln, statt nur passend

Authentisch zu sein bedeutet, sich selbst nicht zu verlassen, um dazuzugehören.


Die Macht gesellschaftlicher Erwartungen

Gesellschaftliche Erwartungen sind selten offen ausgesprochen. Sie wirken subtil – über Normen, Vorbilder, Bewertungen und Vergleiche.

Beispiele:

  • Sei leistungsbereit, aber nicht überfordert.

  • Sei emotional, aber bitte kontrolliert.

  • Sei individuell, aber nicht zu anders.

  • Sei erfolgreich, aber bleib bescheiden.

Diese widersprüchlichen Erwartungen erzeugen psychischen Dauerstress. Wer ihnen entsprechen will, muss sich ständig regulieren, korrigieren und kontrollieren.


Der frühe Beginn der Anpassung

Anpassung beginnt früh. Schon Kinder lernen:

  • Gefühle werden belohnt oder sanktioniert

  • Verhalten wird bewertet

  • Zugehörigkeit ist an Bedingungen geknüpft

Sätze wie:

  • „Stell dich nicht so an.“

  • „Sei brav.“

  • „So macht man das nicht.“

prägen ein inneres Skript: Ich werde geliebt, wenn ich passe.

Das authentische Selbst tritt zurück. Ein angepasstes Selbst übernimmt.


Die psychologische Folge: Das falsche Selbst

Der Psychoanalytiker Donald Winnicott sprach vom „falschen Selbst“ – einer Persönlichkeitsschicht, die sich entwickelt, um Erwartungen zu erfüllen und Ablehnung zu vermeiden.

Dieses falsche Selbst:

  • funktioniert zuverlässig

  • ist sozial akzeptiert

  • verliert aber den Kontakt zum inneren Erleben

Viele Menschen fühlen sich genau deshalb leer, obwohl ihr Leben „stimmt“.


Was im Gehirn passiert

Neurologisch bedeutet dauerhafte Anpassung:

  • Aktivierung des Stresssystems (Amygdala)

  • erhöhte Cortisol-Ausschüttung

  • reduzierte Selbstregulation im präfrontalen Kortex

Das Gehirn ist ständig damit beschäftigt, Gefahren zu vermeiden – nicht damit, Lebendigkeit zu entfalten.

Authentizität hingegen aktiviert das Bindungs- und Belohnungssystem. Echtheit wirkt regulierend, Anpassung erschöpfend.


Warum Anpassung scheinbar Sicherheit gibt

Anpassung schützt kurzfristig:

  • vor Kritik

  • vor Ausgrenzung

  • vor Konflikten

Psychologisch ist sie eine Überlebensstrategie. Doch was früher Schutz war, wird später zum Käfig.

Denn das Nervensystem bleibt in Alarmbereitschaft: Bin ich noch richtig? Passe ich noch?


Der Preis der Unauthentizität

Langfristig kann das Leben gegen das eigene innere Erleben zu:

  • Erschöpfung

  • Angststörungen

  • Depression

  • psychosomatischen Beschwerden

  • Identitätskrisen

führen.

Viele Menschen kommen mit dem Gefühl:„Ich lebe ein Leben, das nicht meins ist.“


Gesellschaftlicher Nutzen der Anpassung

Gesellschaften profitieren von Anpassung:

  • Systeme bleiben stabil

  • Abläufe funktionieren

  • Kritik wird gedämpft

Authentische Menschen hingegen sind unbequem. Sie stellen Fragen, setzen Grenzen, verweigern Rollen.

Deshalb wird Authentizität zwar gefeiert – aber nur solange sie nicht stört.


Der Weg zurück zur Authentizität

Authentisch zu leben bedeutet nicht, alles zu riskieren – sondern bewusst zu wählen.

Wichtige Schritte sind:

  • die eigenen Gefühle ernst zu nehmen

  • innere Werte zu klären

  • Grenzen zu setzen

  • Ambivalenz auszuhalten

  • Zugehörigkeit neu zu definieren

Therapeutisch bedeutet das: wieder in Kontakt kommen – mit sich selbst.


Authentizität ist kein Egoismus

Authentisch zu sein heißt nicht, andere zu verletzen. Im Gegenteil: Wer sich selbst treu ist, begegnet anderen klarer, ehrlicher und verbindlicher.

Echte Beziehungen brauchen keine Masken.


Fazit

Der Konflikt zwischen Authentizität und gesellschaftlichen Erwartungen ist der Kern vieler psychischer Belastungen unserer Zeit.

Nicht weil Menschen zu schwach sind – sondern weil sie zu lange stark sein mussten.

Psychische Gesundheit entsteht dort, wo Menschen nicht mehr ständig fragen:Wie muss ich sein?sondern:Wer bin ich – wirklich?


ree

 
 
 

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