Warum wir uns ständig vergleichen – und dabei uns selbst verlieren
- info44776

- vor 20 Stunden
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Vergleichen ist allgegenwärtig.Wir vergleichen Körper, Karrieren, Beziehungen, Elternschaft, Lebensentwürfe, Belastbarkeit, Glück. Oft geschieht es unbewusst, fast reflexhaft. Kaum ein Gedanke, der nicht irgendwo an der Frage entlangstreift: Bin ich genug? Bin ich besser oder schlechter?
Psychologisch betrachtet ist dieses ständige Vergleichen kein persönlicher Fehler. Es ist ein erlerntes Muster – und ein gesellschaftlich hoch wirksames Steuerungsinstrument.
Der psychologische Ursprung des Vergleichens
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Vergleich diente ursprünglich der Orientierung:
Bin ich sicher?
Gehört ich dazu?
Wo ist mein Platz?
In frühen Gemeinschaften war diese Orientierung überlebenswichtig. Doch was einst Bindung sichern sollte, ist in modernen Gesellschaften zu einem permanenten Bewertungsmechanismus geworden.
Vergleich beantwortet heute nicht mehr die Frage nach Zugehörigkeit – sondern nach Wert.
Vergleichen als Selbstwertregulation
Psychologisch ist Vergleichen oft ein Versuch, den eigenen Selbstwert zu stabilisieren.Wer innerlich unsicher ist, sucht im Außen nach Maßstäben.
Doch dieser Mechanismus ist trügerisch:
Vergleiche nach oben erzeugen Minderwertigkeit
Vergleiche nach unten erzeugen kurzfristige Erleichterung, aber keine echte Stabilität
Der Selbstwert bleibt abhängig – und damit fragil.
Die gestalttherapeutische Perspektive: Kontaktverlust
In der Gestalttherapie steht der Kontakt im Zentrum: der lebendige Kontakt zu sich selbst, zu anderen und zur Umwelt.
Ständiges Vergleichen ist ein Zeichen von Kontaktunterbrechung:
Weg vom eigenen Erleben
Hin zu abstrakten Normen
Weg vom Spüren
Hin zum Bewerten
Der Mensch ist dann nicht mehr in Beziehung, sondern im Ranking.
Introjekte: Die verinnerlichten Maßstäbe
Gestalttherapeutisch betrachtet wirken beim Vergleichen sogenannte Introjekte:verinnerlichte Glaubenssätze wie:
„Du musst besser sein.“
„Du darfst nicht auffallen.“
„Leistung macht wertvoll.“
„Schwäche ist peinlich.“
Diese Sätze wurden oft früh gelernt – durch Eltern, Schule, Gesellschaft – und wirken später wie innere Richter.
Vergleichen ist dann kein freier Akt mehr, sondern ein innerer Zwang.
Gesellschaftlicher Nährboden
Unsere Gesellschaft lebt vom Vergleich:
Noten
Rankings
Likes
Gehälter
Statussymbole
Social Media ist kein harmloses Spiegelkabinett – es ist eine Vergleichsmaschine.Es zeigt keine Realität, sondern kuratierte Idealbilder.
Das Ergebnis:
permanente Selbstabwertung
Neid oder Scham
Entfremdung vom eigenen Leben
Wer sich ständig vergleicht, lebt nicht mehr im eigenen Rhythmus – sondern im Takt fremder Maßstäbe.
Vergleich und Entfremdung
Vergleichen entfernt uns von der eigenen Erfahrung:
Was fühle ich?
Was brauche ich?
Was ist für mich stimmig?
Diese Fragen werden ersetzt durch:
Wo stehe ich im Vergleich?
Reicht das?
Bin ich zu wenig?
Gestalttherapeutisch ist das ein Verlust von Selbstunterstützung. Der Mensch verlässt sich nicht mehr auf sein Erleben, sondern auf äußere Bewertungen.
Neurobiologische Aspekte
Vergleichen aktiviert das Belohnungs- und Stresssystem:
kurzfristiger Dopamin-Kick bei „besser sein“
Cortisol-Anstieg bei „schlechter sein“
Das Gehirn wird abhängig von Bewertung. Ruhe entsteht kaum noch – nur Spannung.
Warum Vergleichen so erschöpfend ist
Weil es kein Ende kennt.Es gibt immer jemanden, der:
mehr hat
besser aussieht
erfolgreicher wirkt
scheinbar glücklicher ist
Vergleichen ist ein Spiel, das nicht gewonnen werden kann – nur verlassen.
Der Preis des Vergleichens
Langfristig führt permanentes Vergleichen zu:
chronischer Unzufriedenheit
Identitätsverlust
emotionaler Erschöpfung
Depression und Angst
Beziehungsproblemen
Menschen verlieren den Kontakt zu dem, was sie einzigartig macht.
Der gestalttherapeutische Ausweg: Zurück in den Kontakt
Gestalttherapie lädt ein, das Vergleichen nicht zu bekämpfen, sondern zu bemerken.
Zentrale Fragen sind:
Was fühle ich gerade wirklich?
Was passiert in meinem Körper?
Was brauche ich – jenseits von Maßstäben?
Heilung entsteht durch:
Präsenz im Hier und Jetzt
Annahme der eigenen Erfahrung
Entwicklung von Selbstunterstützung
Abgrenzung von fremden Normen
Vom Vergleich zur Begegnung
Echte Begegnung geschieht nicht im Vergleich, sondern im Kontakt:
ohne Ranking
ohne Bewertung
ohne Messlatte
Gestalttherapeutisch gesprochen:Ich bin Ich – Du bist Du.Und das genügt.
Gesellschaftliche Verantwortung
Eine gesunde Gesellschaft würde weniger vergleichen und mehr anerkennen:
Vielfalt statt Norm
Menschlichkeit statt Leistung
Sein statt Schein
Vergleichen hält Systeme am Laufen – aber Menschen klein.
Fazit
Wir vergleichen uns, weil wir dazugehören wollen.Wir verlieren uns dabei, wenn Zugehörigkeit an Wert gekoppelt wird.
Gestalttherapie erinnert uns daran:Du musst nicht besser sein.Du musst nicht genügen.Du darfst da sein.
Nicht im Vergleich.Sondern im Kontakt.

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