Zwischen Reiz und Reaktion – Wie wir lernen, nicht impulsiv zu handeln
- info44776
- 18. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Der Raum, der alles verändert
Zwischen dem, was uns trifft – und dem, wie wir darauf reagieren – liegt ein winziger Moment.Ein Raum.Kaum spürbar. Und doch entscheidend.
In diesem Raum liegt unsere Freiheit.Unsere Fähigkeit zu wählen.Nicht reflexhaft zu reagieren, sondern bewusst zu agieren.
Doch wie gelingt es uns, diesen inneren Raum zu vergrößern?Was hindert uns daran, in schwierigen Momenten ruhig zu bleiben?Und was passiert in unserem Gehirn, wenn wir unter Stress stehen?
Teil 1: Reiz-Reaktions-Muster – Warum wir oft wie ferngesteuert handeln
Wir alle kennen es:Ein Vorwurf. Eine Zurückweisung. Eine plötzliche Angst.Und plötzlich sind wir „drin“. Im Drama. Im alten Muster. In der Wut. Oder im Rückzug.
Psychologisch gesehen handelt es sich hier um automatisierte Reaktionsmuster, die tief im limbischen System unseres Gehirns verankert sind.Insbesondere die Amygdala – unser emotionales Alarmsystem – bewertet blitzschnell Situationen auf Gefahr oder Sicherheit.
Wenn sie Alarm schlägt, schaltet der Körper in den Stressmodus: Kampf, Flucht oder Erstarrung.
In diesen Momenten wird der präfrontale Kortex – der Teil unseres Gehirns, der für Vernunft, Abwägen und Reflexion zuständig ist – regelrecht „überfahren“.
Das heißt:Wir reagieren, bevor wir denken können.
Teil 2: Der Preis impulsiven Verhaltens
Impulsives Reagieren mag kurzfristig erleichternd wirken – aber langfristig trägt es oft Konsequenzen:
Wir sagen Dinge, die wir bereuen.
Wir verletzen andere (oder uns selbst).
Wir verlieren Kontrolle und Klarheit.
Beziehungen leiden.
Schuldgefühle und Scham setzen sich fest.
Außerdem verstärken impulsive Reaktionen oft alte Muster:Wir fühlen uns wieder ohnmächtig, wieder nicht verstanden – und fangen an, uns selbst zu misstrauen.
#Teil 3: Der Schlüssel liegt im „Dazwischen“
Der berühmte Psychiater Viktor Frankl schrieb:
„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum.In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion.In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“
Doch wie kommen wir in diesen Raum?
Das Gehirn lässt sich trainieren.Je öfter wir in stressigen Situationen innehalten, atmen, reflektieren – desto stärker wird der präfrontale Kortex.Desto langsamer springt die Amygdala an.Desto mehr Raum entsteht zwischen dem, was passiert – und dem, wie wir handeln.
Teil 4: Neuronale Perspektive – Das Gehirn in Balance bringen
Neurologisch gesehen braucht es Selbstregulation, um zwischen Reiz und Reaktion bewusst zu agieren.
Folgende Prozesse sind zentral:
Vagustonus stärken: Der Vagusnerv beeinflusst unsere Fähigkeit, im Nervensystem zu „entspannen“ und Sicherheit zu empfinden.→ Atemübungen, Summen, Meditation und soziale Verbundenheit helfen.
Neuroplastizität nutzen: Durch wiederholtes bewusstes Innehalten können neue Verknüpfungen im Gehirn entstehen.→ Je öfter wir eine achtsame Reaktion wählen, desto leichter wird sie künftig abrufbar.
Amygdala beruhigen: Durch achtsame Wahrnehmung, Bewegung, bewusste Pausen und Körperarbeit kann das emotionale Zentrum des Gehirns herunterreguliert werden.
Präfrontalen Kortex aktivieren: Alles, was mit Perspektivwechsel, Reflexion, Mitgefühl oder lösungsorientiertem Denken zu tun hat, stärkt diesen Bereich – und hilft, den Raum zu vergrößern.
Teil 5: Was konkret hilft – Psychologisch und praktisch
1. Stopp-Übung
Sobald du spürst, dass ein Reiz dich triggert:
Atme tief ein.
Sage innerlich: STOPP.
Lege eine Hand auf dein Herz oder deinen Bauch.
Frage dich: Was fühle ich gerade wirklich?
2. Benennen statt bewerten
Sprich das Gefühl aus – nicht die Anschuldigung.Nicht: „Du bist so respektlos!“Sondern: „Ich merke, dass mich das gerade verletzt hat.“
3. Verzögerung einbauen
Erlaube dir Zeit:„Ich möchte erst darüber nachdenken und später darauf antworten.“→ Diese bewusste Verzögerung schafft Raum zur Regulation.
4. Reflexion nach der Situation
Was war der Reiz?Was war meine erste Impulsreaktion?Was hätte ich gebraucht?→ So lernst du mit der Zeit, deine Muster besser zu verstehen.
Teil 6: Vom Reiz zur Reife – Entwicklung durch Bewusstheit
Der Raum zwischen Reiz und Reaktion ist nicht nur eine Technik.Er ist ein Zeichen innerer Reife.Er ist der Ort, an dem aus innerer Not neue Wege entstehen können.
Diesen Raum zu betreten, bedeutet:
Verantwortung zu übernehmen
Verletzlichkeit zuzulassen
sich selbst tiefer kennenzulernen
anderen und sich selbst mit mehr Mitgefühl zu begegnen
Es ist ein Prozess. Kein Perfektionismus. Kein „richtig machen“.Sondern ein Übungsweg – hin zu mehr Selbstführung und innerem Frieden.
Fazit: Freiheit beginnt im Moment der Entscheidung
Es gibt keine „richtige“ Reaktion auf alles.Aber es gibt die Möglichkeit, innezuhalten.Zwischen dem, was uns passiert – und dem, wie wir antworten – liegt unsere Kraft.
Und je mehr wir diesen Raum betreten, desto mehr beginnt unser Leben sich zu verändern.

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